Rede der Bundesministerin der Justiz, Brigitte Zypries, im Rahmen der Aussprache zur Regierungserklärung vor Bundestag 30. Nov 2005

Das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung berichtet. Auch wenn es wenig US Bezug hat, so ist es was die Regierungsplanung der naechsten 4 Jahre unter rechtlichen Gesichtspunkten angeht, dennoch lesenswert.

Gruss aus den USA
RvH
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Rede der Bundesministerin der Justiz, Brigitte Zypries, im Rahmen der Aussprache zur Regierungserklärung der Bundeskanzlerin vor dem Deutschen Bundestag am 30. November 2005 in Berlin:
Veröffentlicht am: 30.11.2005
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Frau Präsidentin!
Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wie auch ich jetzt sagen darf!

In der Rechtspolitik können wir an die erfolgreiche Arbeit der vergangenen Jahre anknüpfen, und dies auch unter den veränderten politischen Mehrheiten. Beide Koalitionspartner haben ihre guten Ideen erfolgreich durchgesetzt. Auf die nicht ganz so guten Vorschläge haben wir übereinstimmend relativ schnell verzichten können. Hierfür und für die konstruktiven und guten Verhandlungen möchte ich allen Beteiligten sehr danken, insbesondere dem Verhandlungsführer der CDU/CSU, dem Herrn Kollegen Bosbach.

Was also haben wir für die nächsten vier Jahre vereinbart? Es wird – dies war eben schon Gegenstand der Debatte – um das Strafrecht, das Strafprozessrecht und die Frage des grundsätzlichen Ausgleichs zwischen den grundrechtlich garantierten Freiheiten der Menschen und dem Anspruch auf Sicherheit gehen. Bürgerrechte dürfen nicht – darin sind wir uns einig – ohne Maß eingeschränkt werden und der Schutz der Bürgerinnen und Bürger vor Kriminalität sowie die damit verbundenen Eingriffe in ihre persönlichen Freiheitsrechte müssen in einem angemessenen Verhältnis dazu stehen: So viel Freiheit wie möglich, so viel Sicherheit wie nötig. Diesen Maßstab werden wir auch in Zukunft befolgen. Wir haben es in der vergangenen Legislaturperiode nicht anders getan. Wir sind wir uns darin einig, dass wir die Kriminalität auf allen Ebenen bekämpfen wollen. Deswegen ist es nicht richtig, nur vom Terrorismus zu reden. Wir wollen wirksame Strafgesetze schaffen und da, wo es erforderlich ist, Lücken ausfüllen. Ich nenne als Beispiele das Stalking oder die Zwangsprostitution.

Zur effektiven Strafverfolgung ist es unabdingbar, Straftaten möglichst zügig aufzuklären. Dazu brauchen wir Hilfsmittel. Wir sind deshalb übereingekommen, das Recht der Telekommunikationsüberwachung zu überarbeiten und eine stimmige Gesamtregelung vorzulegen. Das hatten wir uns schon für die letzte Legislaturperiode vorgenommen. Dazu reichte aber nicht die Zeit. Wir werden dies deshalb in dieser Legislaturperiode angehen.

Wir haben uns auch darauf verständigt, eine Kronzeugenregelung einzuführen. Eine solche Regelung, die Tätern in besonderen Einzelfällen die Möglichkeit der Strafmilderung bietet, ist, wie wir alle wissen, nicht ganz unproblematisch und wird kontrovers diskutiert. In der Praxis heißt es aber, dass es dieser Regelung bedarf. Ich erinnere an die letzte Entscheidung aus Düsseldorf und die mahnenden Worte des Vorsitzenden Richters. Ich kann Ihnen versichern, dass wir uns nicht leichtfertig über die Bedenken hinwegsetzen werden.

Der Vorschlag, den wir machen wollen, ist ein Kompromiss zwischen abstrakten Grundsätzen und praktischen Notwendigkeiten der Strafverfolgung und entspricht den Forderungen der gerichtlichen und staatsanwaltschaftlichen Praxis, mit der wir schon in der letzten Legislaturperiode den Diskurs gesucht haben. Seien Sie sich sicher, dass wir darauf achten werden, dass der Entwurf nicht zu Verwerfungen im Strafrecht führt.

Die Regelungen zur erleichterten DNA-Speicherung und zur akustischen Wohnraumüberwachung haben wir am Ende der letzten Legislaturperiode bereits verabschiedet. Wir haben uns im Koalitionsvertrag darauf verständigt, diese Regeln in der Praxis zunächst einmal zu testen, sie dann ordnungsgemäß zu evaluieren und dann zu sehen, ob es Bedarf gibt, die Regelungen als solche zu ändern.

Damit habe ich einen Grundsatz angesprochen, der die Arbeit der neuen Bundesregierung in der Rechtspolitik prägen wird: Wir werden uns nicht scheuen, neue Gesetze zu schaffen oder bestehende Gesetze zu ändern, aber immer erst nach einer sorgfältigen Analyse; denn kluge Rechtspolitik besteht auch und gerade darin, zunächst zwischen den verschiedenen Interessen abzuwägen und dann zu entscheiden, ob Gesetze für eine andere Gewichtung erforderlich sind.

Wir werden deshalb auch keinen Paradigmenwechsel im Jugendstrafrecht vornehmen. Der Erziehungsgedanke des Jugendstrafrechts wird auch bei der großen Koalition im Mittelpunkt stehen. Lediglich in einem Punkt wird im Koalitionsvertrag Handlungsbedarf festgestellt: Die nachträgliche Sicherungsverwahrung wird – natürlich in engen Grenzen – auch für die Täter eingeführt, die nach dem Jugendstrafrecht verurteilt wurden, aber zum Zeitpunkt ihrer Entlassung erwachsen sind. Dies soll nur bei solchen Tätern möglich sein, die wegen schwerster Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit oder die sexuelle Selbstbestimmung verurteilt worden sind. Klar muss sein, dass es eine generelle Gleichstellung von Jugendlichen und Erwachsenen nicht geben kann.

Die Hürden für die Anordnung der Sicherungsverwahrung müssen bei Jugendlichen und Heranwachsenden höher sein, so wie wir es in der letzten Legislaturperiode bereits bei der Sicherungsverwahrung für Heranwachsende, die nach Erwachsenenstrafrecht verurteilt wurden, gemacht haben.

Ich möchte gerne auf andere Themen eingehen, die auch mit Rechtspolitik zu tun haben, aber nicht mit dem Strafrecht – das überwiegt ja oft -, und zunächst kurz auf den Datenschutz Bezug nehmen. Es ist in der Tat so, wie Herr Wiefelspütz vorgetragen hat, dass das Datenschutzrecht – das geschah auch aufgrund meiner Initiative -, grundsätzlich überarbeitet werden soll. Wahrscheinlich ist Ihnen, Frau Kollegin, bei aller Leidenschaft für das Datenschutzrecht entgangen, dass es heute doch eine Menge an Veränderungen gibt, die von dem geltenden Recht gar nicht mehr erfasst werden; man kann das ja auch einmal so herum sehen. Der Online-Zugriff beispielsweise ist überhaupt nicht mehr geregelt, wenn man nur von “Übermittlung” redet. Dann heißt es nämlich immer: Einer sendet etwas. Deswegen haben wir gesagt: Wir müssen das Datenschutzrecht einmal gründlich angehen und grundsätzlich überarbeiten. Dabei müssen wir auch – ich bitte, das jetzt nicht falsch zu verstehen – bestimmte bürokratische Regelungen abschaffen. Beispielsweise gibt es noch Meldepflichten für diejenigen, die in der Nähe dieser Motte, die es in Berlin in den Kastanien gibt, leben.

Über die Zweckmäßigkeit solcher Bestimmungen kann man sich in der Tat streiten. Deswegen haben wir gesagt: Es macht Sinn, einmal zu schauen, ob es nicht auch wirklich völlig widersinnige Regelungen gibt. Der Koalitionsvertrag sieht deshalb im Abschnitt V unter Punkt 2 dazu eine Regelung vor. Das gehört nicht zum Bereich des Innern, sondern steht an anderer Stelle. Wer den Koalitionsvertrag ganz liest, findet das aber.

Was die anderen Bereiche und das Leben in einer modernen, sich wandelnden Gesellschaft anbelangt, zu der auch der Datenschutz gehört, würde ich gerne kurz die Möglichkeit ansprechen, die wir im Unterhaltsrecht schaffen wollen, den Unterhaltsanspruch zu verändern. Das Projekt kennen Sie schon, das ist schon auf dem Weg. Die Eigenverantwortung von Ehegatten in und nach der Ehe soll gestärkt werden, ebenso wie klar sein soll, dass Kinder die ersten sind, die in Mangelfällen unterhaltsberechtigt sind.

Wir haben der Tatsache Rechnung getragen, dass unsere Gesellschaft toleranter geworden ist und unterschiedliche Lebensentwürfe akzeptiert sowie auf Minderheiten Rücksicht nimmt. Dies ist vor allem ein Verdienst der Gesellschaft, wird aber selbstverständlich auch durch die Rechtspolitik begleitet. Von dieser Rechtspolitik wird manchmal gesagt, sie bestehe aus reinen Programmsätzen; sie führt aber tatsächlich zu einem veränderten Verhalten, wie wir gerade in einer rechtstatsächlichen Untersuchung zu dem Programmsatz “Kinder dürfen nicht geschlagen werden” festgestellt haben. Das Bewusstsein in der Bevölkerung hat sich in der Tat massiv verändert.

Unser Ziel ist es also, Gleichbehandlungsrichtlinien zügig umzusetzen. Wir sind uns einig, dass wir die Richtlinien im Arbeitsrecht eins zu eins umsetzen werden. Es gibt aber keine Festlegung im Koalitionsvertrag, dass die Umsetzung der anderen Richtlinien ohne andere Merkmale erfolgen soll. Ich kann Ihnen nur sagen: Ich werde mich weiterhin dafür einsetzen, dass Menschen bei so genannten Massengeschäften des täglichen Lebens und beim Abschluss von Versicherungen nicht wegen Behinderung, Alter, sexueller Orientierung, Religion oder Weltanschauung diskriminiert werden.

Zur Akzeptanz neuer Lebensentwürfe gehört auch, dass wir gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften gerecht behandeln. Deswegen bleibt auch auf der Tagesordnung, die Gleichbehandlung von Homosexuellen auch im Steuerrecht oder im Beamtenrecht vorzusehen. Es kann nicht sein, dass wir ihnen dieselben Pflichten auferlegen wie Verheirateten, ihnen aber bei den entsprechenden Vergünstigungen nicht dieselben Rechte geben. Das halte ich nicht für richtig.

Unsere Gesellschaft wird immer älter, die Versorgung der Menschen – gerade auch die medizinische Versorgung im Alter – immer besser. Wir diskutieren deshalb schon seit einer ganzen Zeit das Thema Patientenverfügung. Wir haben es auch in den Koalitionsvertrag aufgenommen. Wir waren uns beim Abschluss des Koalitionsvertrages einig, dass das nichts ist, was vonseiten der Regierung kommen sollte, sondern etwas, was aus der Mitte des Bundestages kommen sollte. Es geht um Grundfragen der menschlichen Selbstbestimmung, um ethische, moralische und religiöse Überzeugungen. Parteipolitische Festlegungen sollte es in dem Bereich nicht geben.

Deshalb wird die Bundesregierung keinen Entwurf vorlegen. Ich verbinde das aber mit der Bitte an das Hohe Haus, dass wir möglichst schnell ein Gesetz auf den Weg bringen oder auch zwei Gesetze zur Abstimmung stellen. Ich habe nach all den Briefen und nach all den Diskussionen, die ich dazu geführt habe, den Eindruck, dass die Bürgerinnen und Bürger in der Tat erwarten, dass an dieser Stelle mehr Rechtsklarheit geschaffen wird.

Lassen Sie mich zum Schluss noch ein paar Worte zum Wirtschaftsrecht sagen: Sie wissen, dass wir immer dafür eintreten, Verbraucherinnen und Verbrauchern die für ihre vernünftigen Entscheidungen notwendigen Informationen zu geben. Das gilt in allen Bereichen. Wir wollen das auch weiterhin machen. Eines Schutzes bedürfen sie dennoch.

Wir wollen beim Versicherungsvertragsgesetz einen etwas gerechteren Interessenausgleich zugunsten der Versicherten vorsehen, indem die Abschlussgebühren künftig über einen längeren Zeitraum verteilt werden, sodass man die Chance hat, einen Teil seiner zwei Jahresbeiträge zurückzuerhalten, wenn man nach zwei Jahren den Versicherungsvertrag kündigt.

Wir werden das Urheberrecht novellieren, das wissen Sie, und ferner werden wir das GmbH-Recht reformieren. Wir haben uns im Koalitionsvertrag darauf verständigt, nicht nur die Eingangssumme abzusenken, sondern auch eine umfassende Reform vorzunehmen. Natürlich wird auch für diesen Bereich gelten, dass wir die Möglichkeiten der elektronischen Medien stärker nutzen wollen, beispielsweise indem wir elektronische Anmeldungen zum Handelsregister ermöglichen.

Ein Thema, das insbesondere die Länder betrifft, ist die Modernisierung der Justiz, die so genannte große Justizreform. Die werden wir mit den Ländern angehen. Wir wollen insbesondere in dem Bereich, in dem es um verständliche, überschaubare und einheitliche Verfahrensstrukturen geht, Fortschritte erzielen. Ich meine, das ist ein Thema, bei dem der Bundestag, ohne Sorge zu haben, es könne zu einem Rechtsverlust kommen, ohne weiteres mitmachen kann. Dabei wird es unter anderem um das Wohnungseigentum und die freiwillige Gerichtsbarkeit gehen, die wir gemeinsam novellieren wollen.

Das waren nur einige Vorhaben von den zahlreichen, die im Bundesministerium der Justiz in jeder Legislaturperiode angegangen werden. In den letzten sieben Jahren sind, wie ich heute gelernt habe, 975 Gesetze aus dem Justizministerium gekommen. Vielleicht ist auch hier ein Ansatz für Reformen darin zu sehen, künftig weniger zu machen. Herr Schäuble, da haben Sie völlig Recht.

Best regards
und viele Grüße aus Charlotte
Reinhard von Hennigs
www.bridgehouse.law