Wie es ist als deutsche Rechtsreferendarin mit dem amerikanischen Recht konfrontiert zu werden
Dass sich das deutsche und amerikanische Rechtverständnis grundlegend unterscheiden liegt wohl auf der Hand. Das deutsche Recht hat seine Wurzeln im geschriebenen römischen Recht, das amerikanische Recht basiert auf dem Common Law, dem ungeschriebenen Recht.
Doch wie wirkt sich der Unterschied in der Praxis aus?
Ich absolviere zur Zeit meine Wahlstation in einer zivilrechtlichen Kanzlei in Charlotte, NC, USA. Am Anfang war vieles neu und die juristischen Begriffe auf English prasselten auf mich ein. Doch nach nun über die Hälfte der Zeit fühle ich mich Recht vertraut mit dem „anderen Recht“. Und woran mag das liegen? Nachdem man erst einmal die anfängliche Sprachbarriere überwunden hat und ein paar grundlegende Kenntnisse erworben hat, ist die Arbeit gar nicht so verschieden. Doch bevor ich auf die Vergleichbarkeit zu sprechen komme, erst einmal etwas grundlegendes: Wer die Vereinigten Staaten von Amerika mit seinen einzelnen Staaten vom Prinzip her wie die Bundesrepublik Deutschland mit den einzelnen Ländern versteht, macht leider den gleichen Fehler wie ich zu anfangs. Ich hatte für einen mir übertragenen Fall eine Rechtsprechung gefunden, welche ich anwenden wollte. Nachdem ich dieses der federführenden Rechtsanwältin präsentierte, teilte sie mir mit das die Rechtsprechung nicht auf meinen Fall übertragbar ist. Aber warum nicht? Es gibt in den USA nicht „den Bundesgerichtshof“ wie wir ihn aus Deutschland kennen. In Deutschland ist die Rechtsprechung jedes Senats des Bundesgerichtshofs auf das ganze Land anwendbar. In den Vereinigten Staaten ist dies nicht der Fall. Es gibt zwar auch hier den Bundesgerichtshof mit einzelnen Senaten. Die Senate sind aber nicht wie in Deutschland nur in einzelne Rechtsbereiche aufgeteilt, sondern zusätzlich gewissen Distrikten zugeordnet. Für den Staat North Carolina zum Beispiel ist nur die Rechtsprechung des 4. Senats maßgeblich. Dem 4. Senat sind insgesamt die Staaten Maryland, Virginia, West Virginia, North Carolina and South Carolina zugeordnet. Auch gibt es in den USA nicht das eine Zivilrecht. Jeder Staat hat sein eigenes Zivilrecht.
Nun aber zur Vergleichbarkeit der juristischen Praxis: Meine Anwaltsstation hatte ich in Deutschland in einer Kanzlei mit zivilrechtlicher Ausrichtung absolviert und durfte dort schon einiges an praktischer Erfahrung sammeln. Und genauso wie hier liegt dort der Schwerpunkt der Argumentation in der einschlägigen Rechtsprechung. Eine gute Klagebegründung beruft sich nicht nur auf die eigene Subsumtion, sondern auch auf bereits entschiedene vergleichbare Sachverhalte. Auch existieren in den USA zwei marktführende juristische Datenbanken, welche recht ähnlich wie die zwei marktführenden Datenbanken in Deutschland funktionieren. Die alltägliche Schriftsatzarbeit ist somit sehr ähnlich. Doch welcher großer Unterschied ist mir bereits in der kurzen Zeit aufgefallen? Ich durfte einen der Partner der Kanzlei zu einer Gerichtsverhandlung begleiten und habe relativ schnell ein prozessrechtliches Störgefühl empfunden. In unserer ersten Station des Rechtsreferendariats, der Zivilgerichtsstation, lernen wir, dass Parteien eines Prozesses keine Zeugen im Sinne des Prozessrechts sein können und bereits beim Tatsachenvortrag innerhalb des schriftlichen Vorverfahrens die Beweise zur Vorbereitung einer eventuell erforderlichen Beweisaufnahme angekündigt werden. Im amerikanischen Zivilprozess sind Parteien zugleich auch Zeugen. Auch können während der mündlichen Verhandlung neue Beweise eingeführt werden, welche interessanter Weise nicht gegenüber dem Richter vorgebracht werden, sondern zunächst der Gegenpartei und dann dem Richter. Die prozessrechtlichen Grundsätze sind somit sehr verschieden.
Als Fazit lässt sich sagen, dass der Einblick in ein anderes Rechtssystem sehr interessant ist und zum Hinterfragen des angelernten und daran anschließend als selbstverständlich angesehene Rechtsverständnis anregt.
Ich bin froh über den eigenen Rechtstellerrand geschaut zu haben.